Das Geschenk oder Graue Riesen in der Großstadt

Veröffentlicht von Dr. Manfred Luckas a.m. 9. Oktober 2025 in Rezensionen

»Zur Rettung des Rechtsstaats bin ich bereit, alles zu opfern, sogar den Rechtsstaat.«

Das Brisanteste steht manchmal im Paratext. Dass das fiktive Zitat des fiktiven deutschen Bundeskanzlers Hans Christian Winkler, diesem Buch vorangestellt, sehr bewusst auf das momentane politische Geschehen Bezug nimmt, dürfte von Gaea Schoeters durchaus beabsichtigt sein. Denn eines ist bei der Autorin, die im letzten Jahr mit ihrer Trophäe den deutschsprachigen Buchmarkt so umgepflügt hat wie ein rasender Nashornbulle die Savanne, absolut sicher: Verharmlosung ist ihre Sache nicht. Und wirkt ihr neuer Roman – von Lisa Mensing wieder wunderbar aus dem Niederländischen übertragen – auf den ersten Blick auch deutlich schlanker und leichtfüßiger als sein wuchtiger, überragend guter Vorgänger, schlägt auch Das Geschenk subtil eine messerscharfe Klinge. Im Gespräch mit Bettina Wörgötter, der Lektorin des Paul Szolnay Verlags, welcher gewohnt gelungen für die deutsche Ausgabe verantwortlich zeichnet, konstatiert Gaea Schoeters zu Anmutung und Duktus ihres aktuellen Buchs:

Die Menschen können nur eine bestimmte Menge an schlechten Nachrichten ertragen, und obwohl ich an die konfrontative Kraft der Literatur glaube, ist ein leichterer Ton manchmal ein gutes Gegengewicht – und ein besserer Weg, um gehört zu werden.

Wie wahr angesichts der massigen Elefanten im Raum, die vielen gegenwärtig die Luft zum Atmen nehmen und von denen der wohl aufdringlichste, der Rechtspopulismus, im Roman als roter Faden präsent ist – nicht zuletzt in der Figur des Holger Fuchs, der bei jeder Gelegenheit aggressiv gegen die »Afrikanisierung Europas« wettert:

Und so muss der durchschnittliche, hart arbeitende Deutsche für den Schaden geradestehen, für den invasive afrikanische Arten als Folge irgendeines woken Gesetzes verantwortlich sind.

Was ist eigentlich geschehen? »Mitten in der Spree badet ein Elefantenbulle […] Dickhäuter im Wassermassenwrestling.« Berlin muss plötzlich 20.000 Elefanten beherbergen, die der Präsident von Botswana als Geschenk nach Deutschland geschickt hat – nachdem die Bundesregierung ein Einfuhrverbot von Jagdtrophäen beschlossen und somit Teilen des Landes die Lebensgrundlage entzogen hat. Präsident Tebogo bringt die globale Schieflage, unsentimental und polemisch treffend formuliert, auf den Punkt:

Ihr Europäer wollt uns vorschreiben, wie wir zu leben haben. Vielleicht solltet ihr einfach mal selbst versuchen, mit Megafauna zurechtzukommen.

Nach diesem Paukenschlag entfaltet sich, von der Autorin souverän und lässig inszeniert, eine rasante erzählerische Dramaturgie, die sich in den folgenden Kapiteln Verzweiflung, Veränderung und Verrat sinnfällig alliterierend manifestiert. In hochverdichteter Diktion, temporeich geschrieben und stellenweise fast pikaresk zugespitzt, werden die sinistren politischen Winkelzüge und allzu menschlichen Schwächen, die sich angesichts des »Dickhäuterdebakels« in schönster Klarheit offenbaren, humoristisch-subversiv demaskiert – denn natürlich lässt sich auch aus Elefantenscheiße Geld machen … Und so ist Gaea Schoeters ganz nebenbei noch ein satirischer, neuer Berlin-Roman gelungen: Die Hauptstadt als kleine Animal Farm deutscher Befindlichkeiten, überformt durch den marktkonformen, das Ökosystem missachtenden Opportunismus der Gegenwart.

Das Ende liest sich dann wie ein Epitaph auf die vergebene Chance, mal etwas zu wagen, das man vage als so etwas wie Menschlichkeit umschreiben könnte. Und damit obsiegen, ganz im Sinne des ernüchternden Zeitgeists, die berüchtigten realpolitischen Sachzwänge, die, leider nicht nur in der Literatur, immer wieder zur Legitimierung inhumaner Abschiebungen herhalten müssen:

Unter der Leitung von Generalmajor Moser wird die letzte Matriarchin von Berlin kopfüber in die Luft gezogen und Richtung Hafen geflogen. Der Rest der Herde läuft ihr voller Vertrauen hinterher, nicht ahnend, welches Schicksal sie erwartet.

Resümee: Dedicated to Europe and courage, geschrieben wie aus einem Guss, mit Anspruch, Witz und Verve, inhaltlich auf der Höhe der Zeit. Absolut lesenswert!

Gaea Schoeters: Das Geschenk (Original: Het geschenk, Querido Amsterdam 2025), Roman. 138 Seiten, gebunden, 22,00 €. Paul Szolnay Verlag, Wien 2025.

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