Leipziger Buchmesse 2015, einmal anders
Es war das erste Mal, dass ich sie in Händen hielt, diese parkticketkleine Karte mit dem blauen Doppel-»M« und dem Vermerk »Aussteller«. Nach den ersten Eintrittskontrollen steckte ich sie in mein Portemonnaie. Eine Absperrung verweigerte mir erneut den Zutritt zur Halle 5. Mit ausgestrecktem Arm wies mich eine Frau an, meine Karte unter den Scanner zu legen. »Ach, je, ich habe sie gerade sorgfältig weggepackt«, murmelte ich, stellte meine Tasche ab, durchsuchte meine Geldbörse. Unbeteiligt wartete sie. Am Abend beim Verlassen der Halle stand sie immer noch dort. Mit dem Zeigefinger deutete sie auf die Scanvorrichtung. Ich folgte der Anweisung und wünschte ihr einen schönen Abend.
Mein Ticket fest eingeklemmt zwischen Daumen und Zeigefinger näherte ich mich am nächsten Morgen der Eintrittskontrolle, der Dame im dunkelblauen Kostüm und dem kurzen roten Schal. »Guten Morgen, heute habe ich alles parat«, grüßte ich sie, während die Elektronik summte. Sie lächelte und wünschte mir einen guten Tag. – Später, als die Besucher die Hallen verlassen hatten und nur noch Aussteller vereinzelt ihren Weg zum Draußen antraten, gesellte ich mich zu ihr, denn ich wartete auf Kolleginnen. »Wie war Ihr Tag«, fragte ich. »Wie immer«, entgegnete sie emotionslos, »und Ihrer?« Ich hatte gute Veranstaltungen besucht, Menschen kennengelernt, mit denen mich zuvor nur mail-Kontakte verbanden. Namen hatten Gesichter und Charaktere erhalten. Als meine Kolleginnen kamen klickte sie das Absperrband aus und ließ uns durchgehen. »Ich kenne Sie ja«, kommentierte sie und eine Strähne ihrer kurz geschnittenen dunklen Haare wippte.
»Oh, diese vielen Menschen heute …«, seufzte sie am Samstagabend. Ihre Stimme klang matt. Müde blickten mich ihre grauen Augen an. Meine Hand strich kurz an ihrem Ärmel entlang. »Erholen Sie sich gut, bis morgen.« An diesem Tag waren die Besucher wie von unsichtbaren Kräften voran geschoben worden. Jeder ließ sich mitziehen, so als wäre es etwas Verbotenes zu verweilen.
Sonntagabend. Der Stand war abgebaut. Beim Verlassen der Halle stand sie am gleichen Platz wie immer. Wir schüttelten einander die Hände, tauschten Privates aus und wünschten uns gegenseitig alles Gute.
Wenn ich im nächsten Jahr wiederkomme wird sie vielleicht wieder am Drehkreuz stehen, und während der Scanner mein Ticket erfasst werden wir uns die Hände zum Gruß reichen. Leipziger Buchmesse 2015: Große Events und eine kleine Begegnung am Rande.
Eindrücke von der Leipziger Buchmesse 2015, Fotos von Frank Gebauer
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