Das hier ist Afrika oder Das kurze glückliche Leben des Hunter White

Veröffentlicht von Dr. Manfred Luckas am 29. Februar 2024 in Rezensionen

Glück ist eine heikle Kategorie, aber die Tatsache, dass die flämische Autorin Gaea Schoeters ihren preisgekrönten Roman Trophäe, von Lisa Mensing exzellent aus dem Niederländischen übersetzt, im Wiener Traditionshaus Paul Zsolnay veröffentlicht hat, ist ein Glücksfall. Hier wächst zusammen, was zusammengehört: ein ambitionierter Verlag und eine Autorin, deren literarische und gesellschaftliche Ambitionen die Leser:innen aus jeder Zeile ihres beeindruckenden Buches anspringen, um einmal im Bild zu bleiben. Denn was dem »Romanhelden« Hunter White am meisten behagt, ist nun mal die wilde Jagd – bevorzugt auf wilde Tiere, später erweitert sich das Spektrum – und zwar in Afrika. Einem Afrika, das die Autorin ganz bewusst unbestimmt lässt und damit nicht in die evidente Falle tappt, eine belgische Kolonialgeschichte nachzuerzählen. Aber auch ohne Sidesteps zu Leopold II. und Tervuren ist das Thema greifbar nah und reproduziert sich vor allem in der neokolonialen Blickhierarchie von Hunter, dem es völlig egal ist, dass »Afrika kein Land ist«, um Dipo Faloyin zu zitieren. Als Jeans, ein Guide der Jagdgesellschaft vor Ort, ihn darauf anspricht und ihm vorwirft, »rein gar nichts über Afrika zu wissen«, wird das überdeutlich:

Es stimmt. Er mag Afrika nicht: Es ist ihm zu laut, zu staubig, zu warm. […] Für ihn ist Afrika ein großes Naturreservat, von Gott geschaffen, um ihm Freude zu bereiten; dass dort auch Menschen leben, richtig leben, hat er nie wirklich bewusst realisiert, geschweige denn, dass er sich für sie oder ihre Lebensumstände interessiert hätte. Afrika ist ein Vergnügungspark, sein Jagdgebiet. Mehr nicht.

Die Welt als Supermarkt, ein Kontinent als koloniale Fata Morgana und Aneignungsfläche für männliche Omnipotenzfantasien. Schoeters zeichnet das Bild eines privilegierten amerikanischen Akteurs aus der Finanzwelt, der sich für moralisch überlegen hält, der ohne Skrupel »die positiven Seiten mitnimmt, die Last aber lieber nicht trägt«: Everything but the burden.

Großwildjagd in Afrika, Trophäensammlungen, das sinnentleerte Töten der Big Five: Schoeters taucht unbefangen in eine ungegenwärtige und machistisch konnotierte Welt ein, die spontane Abwehrreaktionen auslöst – und zugleich sofortiges Interesse weckt, Assoziationen auslöst zu der erkennbaren Remythisierung von Männerbildern in den aktuellen Kriegen, in denen der Homo necans Hochkonjunktur hat. Hier dockt der Topos der Menschenjagd, von Hunters Jagdbegleiter van Heeren beiläufig als Big Six ins Spiel gebracht, nahtlos an und ist doch ein Schlag in die Magengrube.

Das Ungeheuerliche zu denken und dann auch zu schreiben, will gekonnt sein. Und die Autorin, die, wie sie sagt, »ein Faible für unangenehme Charaktere hat«, kann es, weil sie es wagt, diesen ekligen, westlichen, weißen Alpha-Mann, für den Ethik »die Farbe des Dollars hat«, differenziert zu zeichnen. Sie hinterfragt seine Motivationen und sucht im Möglichkeitsraum der Fiktion nach Schnittmengen – hier ihre Liebe zur Natur mit der Welt des Jagens – was »der Anfang von Dialog und Verständnis sein kann und schließlich von Veränderung.« Sie billigt ihrem Protagonisten ein Jagdethos zu, das auf den Respekt vor der Beute und eine ritualisierte Art des Tötens rekurriert, die auch das eigene Sich-in-Gefahr bringen in Betracht zieht. So kann Hunter dem Stierkampf, »dem geregelten Totfoltern von Tieren«, nichts abgewinnen – ganz im Gegensatz zu Ernest Hemingway, der den Tod am Nachmittag heroisch verklärt hat. Hemingway ist in Trophäe als Referenz sehr präsent, Schoeters geht anhand seines Schreibens, aber auch dem von Joseph Conrad oder dem genuin angelsächsischen Genre der colonial hunting literature, in den Clinch mit dem Kanon. Koloniale Spielarten des Literarischen zu nutzen, um das Postkoloniale in einem Format zu attackieren, das sich als spannender Abenteuerroman tarnt: das ist eine elaborierte Ironie, die mir gefällt.

Nichts an diesem Buch ist eindimensional und nichts, trotz einer sehr klar erkennbaren Positionierung, apodiktisch. Die Kategorien von Gut und Böse verschwimmen, das Gefühl der moralischen Überlegenheit Hunters, der westlichen Welt generell, verschwindet, der Mann an der Spitze der Nahrungskette wirkt schließlich gescheitert, fragil und seiner Selbstgewissheit beraubt. Der Unterwerfer von Mensch, Tier und Natur, für den das Töten die erotisch aufgeladene Essenz seiner Vitalität ist, stirbt am Ende hilflos und, nach seinem eigenen Verständnis, ehrlos und beschämt.

Gaea Schoeters ist nicht nur eine vielseitig begabte Autorin, (Drehbuch-)Autorin und Librettistin, sondern auch für ihre interdisziplinäre Theaterarbeit bekannt. Als Mitglied von Fixdit, einer Vereinigung von elf Autorinnen, engagiert sie sich zudem für mehr Gleichberechtigung im Literaturbetrieb. In diesem Kontext und in einer Welt, in der intersektional alles mit allem zusammenhängt – und eben auch die vielfältigen Strukturen von Ausbeutung und Diskriminierung – lese und sehe ich den Roman Trophäe. Er wird wohl deshalb so begeistert aufgenommen, weil er einen Nerv trifft und den Finger in die Wunde legt: schmerzhaft, aber erkenntnisreich und heilsam.

Dedicated to Africa, whatever that is. Dedicated to justice, whatever that is. Dedicated to fiction, whatever that is.

Resümee: Wuchtig, vielschichtig, auf den Punkt geschrieben und mitten in der Zeit. Ein literarischer Wirkungstreffer an das postkoloniale Kinn!
Gaea Schoeters: Trophäe. Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing. Roman, gebunden, 256 Seiten, 24,– €. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2024.

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