Als Verleger geeignet oder Einmal von Wien in die Welt und zurück

Veröffentlicht von Dr. Manfred Luckas am 11. Juni 2024 in Rezensionen

»Zsolnay ist ein mitteleuropäischer Verlag mit Sitz in Wien.« Zu diesem harmlos klingenden Aussagesatz lässt sich Herbert Ohrlinger, aktueller Verlagsleiter von Paul Zsolnay, in einem Interview, das im vorliegenden Buch zu finden ist, dann doch hinreißen – um nur wenige Sätze später einen gesellschaftlichen und kulturellen Resonanzraum zu betreten, der das ewige junge Traditionshaus selbstbewusst verortet:

Wir sind in der Lage zu zeigen, glaube ich, dieses Wienerische mit dem Europäischen, mit dem Welthaltigen zu kombinieren und für ein breites Publikum im gesamten deutschsprachigen Raum interessant zu machen.

Nachzulesen ist dies alles in dem überaus gelungenen, zum 100. Jubiläum erschienenen Werk Welt in Wien – Der Paul Zsolnay Verlag 1924 bis 2024. Die Autoren Murray G. Hall und Georg Renöckl meistern dabei auf 200 Seiten die schwierige Aufgabe, die Historie einer verlegerischen Instanz par excellence erzählerisch zu komprimieren, ohne im rein Referentiellen zu verharren. Vielmehr eröffnen sich mit jedem Kapitel, ja fast mit jedem Satz Welten »Weit von Wo«, in denen sich Literaturgeschichte spiegelt, verdichtet und entlang der Zeitenläufe auch immer wieder bricht. So zum Beispiel im Kapitel Intermezzo, das auf das Jahr 1987 rekurriert. Da erscheint bei Zsolnay Jürgen Serkes beeindruckendes Buch Böhmische Dörfer. Wanderungen durch eine verlassene literarische Landschaft – zehn Jahre, nachdem der Autor mit Die verbrannten Dichter eine epochale Bestandsaufnahme der Exilliteratur vorgelegt hat. Serke gelingt es in den sprichwörtlichen Böhmischen Dörfern, wichtige Autor:innen der Prager deutschsprachigen Literatur dem Vergessen zu entreißen, darunter Hermann Ungar, Fritz Brügel, Hans Natonek und nicht zuletzt der große Leo Perutz. Dessen Gesamtwerk ist bei Zsolnay in besten Händen und damit auch sein Roman Nachts unter der steinernen Brücke. 1924 in Wien begonnen, 1951 in Tel Aviv beendet und zwei Jahre später erschienen, ist er heute nichts weniger als eine literarische Markierung des 20. Jahrhunderts.

Begonnen hat alles mit Paul Zsolnay, der seinen Erinnerungen den selbstironischen Titel Als Verleger ungeeignet gab und in den Jahrzehnten, in denen er den Verlag leitete, immer wieder das Gegenteil bewies. Der gebürtige Budapester, der Wien 1938 Richtung London verließ und 1961 verstarb, landete seinen ersten großen Coup im April 1924 mit der Veröffentlichung von Franz Werfels Verdi. Roman der Oper. Bald folgten namhafte Autoren wie Arthur Schnitzler mit der Novelle Fräulein Else oder Max Brod mit Tycho Brahes Weg zu Gott. Die Originalumschläge beider Titel sind hier sehr anschaulich abgedruckt, mithin wissen also auch Foto- und Bildmaterial zu überzeugen.

Von Franz Werfel bis Franzobel – von dem man übrigens lernen kann, wie man Zsolnay richtig ausspricht – von Max Brod bis Fiston Mwanza Mujilas Tanz der Teufel, von Alfred Polgars zeitlosem Handbuch des Kritikers bis hin zum mirakulösen Mircea Cărtărescu: Das spektrale Verlagsprogramm von Zsolnay rangiert auf höchstem Niveau und liest sich wie ein Kaleidoskop der Weltliteratur. Und das schon seit den Anfängen und besonders den 1930er-Jahren, als sich für den Verlag die Bezeichnung Literaturministerium für Äußeres einbürgerte. Dafür standen Autor:innen wie Pearl S. Buck, Theodore Dreiser, Colette oder auch John Galsworthy, um nur einige zu nennen.

Im Moment sammelt Zsolnay sehr erfolgreich Trophäen mit Gaea Schoeters und auch eine vorgeblich schwere Kost wie Toxische Pommes findet mit leichter Hand viele begeisterte Leserinnen und Leser.

Resümee: Eine faszinierend beziehungsreiche Reise durch literarische Räume und Zeiten und damit auch eine Hommage an das große Literaturland Österreich.
Murray G. Hall und Georg Renöckl: Welt in Wien – Der Paul Zsolnay Verlag 1924 bis 2024. 206 Seiten, 20,– €. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2024.

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