Stone Pigeon oder Wem gehören die Tauben
Einen undotierten Preis soll ich erhalten. Die Institution will ein Zeichen gegen den Kommerz-Kram setzen. Vorbildlich. Gut für das Kunst-Amt. Schlecht für mich. Ich lehne ab. Ich schreibe Gedichte. Klebe Bücher … Was ich machen würde mit einem Preisgeld? Essen kaufen. Wer Kunst macht, soll ein romantisches Ideal hochhalten. Nicht über Geld reden in einer Vierundzwanzig-Stunden-kapitalistischen-Welt. Ein wenig beobachten. Noch weniger stören. Nicht essen.
Scharf getaktete, ungemütliche und provokant-zitierfähige Statements wie diese findet man auf der Seite Süper Depresyon – Die einsame Kolumne von Lütfiye Güzel. Güzel stammt aus Duisburg, lebt und schreibt ebenda, aber auch in Berlin und erhielt 2014 den Fakir-Baykurt-Kulturpreis ihrer Heimatstadt. 2017 wurde Güzel mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet. Gedichte und andere Texte, darunter einen anti-roman, verlegt die Herz-Terroristin unter ihrem eigenen Label go-güzel-publishing. Soweit ein erstes biografisches Stenogramm.
Mit ihrem Gedichtband ich.soll.ruhiger.werden., erschienen 2023, macht sie einen Punkt, der im oft erratischen Literaturbetrieb zum Glück nicht übersehen wird und es sogar in die Lyrikempfehlungen 2024 schafft. Christian Matz konstatiert dabei anerkennend eine »schonungslose Selbstbeobachtungspoesie«, geschrieben »mit minimalistischer Präzision, in klarer, pointierter Sprache.« Dem ist nicht zu widersprechen, prätentiöse Wortgewitter und Redundanz sind ihre Sache nicht, wenige Worte reichen, um in poetischer Manier vielsagend zu sein. Entsprechend heißt es in ihrer aktuellen Publikation wem gehören die tauben? »widersetzen eine darstellungsmöglichkeit / die wandlung gestört sperrig.« Hier ist eine realitätsfreudige Ästhetik des Widerstands am Werk, die sich wenig um hübsche Aufmachung und das wohltemperierte Klavier schert, sondern angriffslustig in den Infight geht, insistiert, Aufmerksamkeit einfordert und zu einem konzentrierten Leseduktus zwingt. Dazu trägt auch das unkonventionell fragmentierte Schriftbild bei, das Syntax und Semantik versprengt-verstörend auseinanderreißt – ein Cut-up-Stil der ganz anderen Art. Eine Textstelle, die mich durch ihre Klangfarben und komplexen Bedeutungs-Layer besonders begeistert, findet sich auf Seite 6 des knapp gehaltenen Chapbooks:
antriebslose wirklichkeit entschärft die menschliche perspektive / abstufungen in farbblöcken / hinterfragen eine empfindsamkeit /über alles hinausgehen / grausame endlichkeit / wie der schlusspunkt einer körperhaltung
Die Mauern und Hände sind hier oft sprachlos und kalt, den Betonböden und Nicht-Orten, wo Tauben und Menschen unsanft landen, rückt die Autorin in eigensinnig-grobkörnigen Schwarz-Weiß-Bildern auch fotografisch zu Leibe – ungeschönt in Bewegung tanzen sie den acceptdance, »über dem ganzen der ahnungslose himmel.« Die seelische Topographie, die sich zwischen all den Satztrümmern und dem urbanen Wortgestein offenbart, ist eine lebensgehärtete, unpathetische, gegenweltliche, umweht von einem verletzlichen Gefühl der Einsamkeit. »Zitiere mich selbst, weil es sonst niemand tut: Das ist politisch. Einsamkeit, die langweilt.«
Mely Kiyak, selbst kompromisslose Autorin sui generis, nennt Lütfiye Güzel »unsere Ingeborg Bachmann des Potts.« Sie trifft ins Herz der Erkenntnis: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.
Resümee: Keine Tauben im Gras, Lütfiye Güzel schreibt Lyrik für den Pflasterstrand: auf den Punkt, gegenwärtig, schlagstark.
Lütfiye Güzel: wem gehören die tauben? (Best of Chapbooks). 71 Seiten mit S-W-Fotos, 10,00 €. go-güzel-publishing 2025. Buchbestellungen direkt bei der Autorin unter luetfiye-guezel.tumblr.com.
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