Nachtfahrt oder Cologne Taxi Driver

Veröffentlicht von Dr. Manfred Luckas am 28. Januar 2020 in Rezensionen

Ganz am Ende des grandiosen Fototagebuchs Nachtfahrt – Ein Taxi Blues schreibt Josef Šnobl, Künstler und Taxifahrer, Fotograf und Literat in Personalunion, den grandiosen Satz »Die Verlierer sind unsere Doppelgänger«.

25 Jahre Taxifahren machen also weise und zeigen, dass zwischen Menschen immer und zu jeder Zeit alles möglich ist: Gewalt und Zärtlichkeit, Verzweiflung und Freude, Geschwätz und gute Gespräche, Hass, Liebe und Erotik – das alles verdichtet in dem »metallenen Sarg«, wie Paul Schrader das Taxi einmal genannt hat. Das war übrigens zu der Zeit, als er das Drehbuch zu einem Film namens Taxi Driver geschrieben hat. Und wenn man den Taxi Blues durchblättert, da bekommt man nicht nur ab und zu mal den Blues, sondern sieht Robert De Niro vor seinem geistigen Auge und den Dampf des Untergrunds durch die Kanaldeckel glosen. Es ist zwar nicht New York, sondern nur Köln, aber diese 240 Seiten legen vor allem eindrucksvoll Zeugnis ab von Licht und Schatten der Großstadt. Taxifahren ist ein urbanes Phänomen so wie Faustkampf und Jazz, eine Welt mit eigenen Regeln, eigenen Codes und einem existentialistischen Ethos. Doch lassen wir einfach den in Prag geborenen Wahlkölner zu Wort kommen:

Ich habe nie in einer Kleinstadt oder in einem Dorf gelebt; immer nur in der Großstadt. Ich liebe die Individualität der Bewohner, ihren Stolz, und ich schätze die Anonymität. Große Städte haben eine große Geschichte, und man wird ein Teil davon. Die Großstadt ist verrucht, vielfältig und immer in Bewegung. In einer Metropole Taxi zu fahren, hat etwas Erhabenes.

Diese ersten Zeilen des Kapitels »Die Stadt« (Seite 24) geben den literarischen Duktus vor, das gegenüberliegende Foto den visuellen: tiefschwarze Nacht dominiert, in diffuses Licht getaucht, fast abstrakt und nur noch in Umrissen erkennbar, wabert der Kölner Dom. Mit einer kleinen Taschenkamera fotografiert, sorgen die hohe Filmempfindlichkeit und die langen Belichtungszeiten für das Grobe und Unscharfe der Aufnahmen, verleihen ihnen etwas Rätselhaftes, Sinistres, manchmal latent Bedrohliches. Mit der Nacht und ihren Geheimnissen ist ja schließlich auch nicht zu spaßen: “Last Night a DJ Saved My Life!”

Viele Fotos üben eine fatale Sogwirkung aus, oft sind sie suggestiv, manche zum Sterben schön wie die Aufnahme der Boxerkneipe »Klein Köln« in der Friesenstraße (Seite 177). Hier wurden damals die Kämpfer gewogen, bevor es dann gegenüber in den Sartory-Sälen zur Sache ging. Vielleicht waren unsere Nächte früher ja heller als die Tage heute. Šnobls Nachtfahrten zwischen 1988 und 2013 sind jedenfalls immer auch eine Zeitreise durch die Rheinmetropole, die einmal härter und ungehobelter wirkte mit viel Rotlicht dazwischen. Auch von solchen Fahrten berichtet der schreibende Fotograf mit einer Schwäche für seinen philosophischen Landsmann Vilém Flusser. Ja, es stimmt, was der Emons Verlag behauptet: Köln hat man so noch nicht gesehen.

Das gilt übrigens auch für dieses Buch, diesen faszinierenden Hybriden in Form eines schwarzen Monolithen. Gestalterisch, grafisch und haptisch hat der Emons Verlag Mut bewiesen und wird dafür hoffentlich belohnt werden. Von Reinhard Matz mit sicherer Hand herausgegeben, wartet die Nachfahrt noch auf den zweiten und dritten Blick mit Überraschungen auf. So ist zum Beispiel jedem Kapitel ein entsprechender Song zugeordnet, den man sich durch Scannen des QR-Codes auf Spotify zu Gemüte führen kann.

De Facto also Texte, Bilder, Töne und als vierte Dimension das viele Schwarz im Buch, das intensiv riecht: eine sinnliche Sinfonie der Großstadt. Zum Schluss noch einmal ein wenig Wortlaut aus dem Taxi Blues:

Die Großstadt ist zwischen vier und sechs Uhr morgens am schönsten; gesetzlos und wild, die Zeit ist aufgehoben. Jeder Nachtfahrer kann davon einen Blues singen.

Unbedingt zu empfehlen!

Josef Šnobl: Nachtfahrt – Ein Taxi Blues. 240 S. mit ca. 240 Fotos, hg. von Reinhard Matz. Köln, Emons Verlag 2019. 25,00 Euro.

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