PUNK for live oder Die Musik gehört allen

Veröffentlicht von Dr. Manfred Luckas am 9. Oktober 2024 in Rezensionen

In diesem kleinen Buch geht es darum, was passiert, wenn die Sprache so stark mit einem Baseballschläger verprügelt wird, dass sie sich in Poesie verwandelt.

Mátyás Dunajcsik, geboren 1983 zwischen Buda und Pest, macht keine Gefangenen, wenn er schreibt. Sprachlich entfesselt räsoniert er über die Biotope der Gegenkultur und lotet dabei die lustvolle Freude am kontrollierten Machtgefälle im BDSM-Klub ebenso aus wie die immersive Logik im Moshpit eines Punkkonzerts. Dahin zu gehen, wo es weh tut, kann ein Ausdruck größter Zuneigung sein. Die Zärtlichkeit der Wölfe, die schon Ulli Lommel so filmisch furios anheulte, findet in diesem Polyglot Punk Poet, der Ungarn 2014 verließ und heute, »im Exil zuhause«, in Berlin lebt, ein literarisches Pendant: im Duktus unverwechselbar, kompromisslos empathisch und verspielt-brutal wie ein Muscle Car.

Nach seinem ersten, auf Deutsch geschriebenen Buch, den Verlorenen Gedichten, die 2023 bei der parasitenpresse in Köln erschienen sind und den Elfenbeinturm des poetisch wohltemperierten Klaviers schon ordentlich durchgerüttelt haben, nun also PUNK: passt impekabel in die Reihe EDITION POETICON des Verlagshauses Berlin – für mich einer der spannendsten, innovativsten Verlage hierzulande mit einem klug und scharf konturierten, antisklerotisch-spektralen Programm – and always fiercely independent: Poetisiert euch! Und wer, wie ich, eher vom Jazz kommt, aber auch mal geboxt hat, kriegt von Dunajcsik in Sachen »Definiere Punk!« gleich einen aufklärerischen Aufwärtshaken an den Kinnwinkel: tut weh, fördert das Verständnis jedoch ungemein:

PUNK wird von allen Kreuzritter*innen der systemischen Unterdrückung gejagt, hier und jetzt, und deswegen hat er nicht die Zeit und das Privileg, für die Nachwelt oder die Ewigkeit zu schreiben. Deshalb wartet er manchmal gar nicht darauf, an die üblichen dem Poesiekonsum geweihten Orte wie dem gemütlichen Ohrensessel in einer Heimbibliothek oder der Bühne einer erhabenen Literaturinstitution richtig anzukommen. Er spricht dich auf der Toilette eines Konzertsaals an, in einem nach Kotze stinkenden Wagen der U3 auf dem Heimweg aus Kreuzberg oder im Späti am nächsten Tag, wo du im Schlafanzug hinunterstolperst, um etwas gegen deinen Kater zu holen. Aber du wirst immer verstehen, was er sagt.

Punk ist also, wenn ich den Autor richtig verstehe, nicht nur roh, strukturell unkompliziert, ungeschliffen, wild und mit der Ästhetik des Hässlichen hart gegen den Strich gebürstet, sondern stets auch politisch, antiautoritär, antirepressiv, eine laute, höchst lebendige Stimme gegen gesellschaftliche Fehlentwicklungen und den oft dezent verdrucksten Gefühlsstau des Heteronormativen. Die Rede ist dabei sicher nicht nur von Orban-Ungarn, aber Mátyás Dunajcsik wird an dieser Stelle zum Glück sehr konkret:

Als mein Heimatland immer tiefer in seinen rückschrittlichen Illiberalismus versank, wurde auch mir immer klarer, dass selbst die größte Kunst mich in einer zunehmend queerfeindlichen Gesellschaft nicht schützen wird. Das führte zu meiner Emigration.

Emigration versteht sich hier auch als Auflehnung gegen die unheilige Trias Nationalstaat-Vaterland-Muttersprache, deren Mythisierung »nicht nur festlegt, dass die Nationalität, die ethnische Zugehörigkeit und die Muttersprache einer Person ein und dasselbe sein sollten, sondern auch die Überzeugung begründet, dass wertvolle literarische Arbeit nur in der Muttersprache geleistet werden kann und in keiner anderen.«

Dunajcsiks Essay liest sich in vielen Passagen wie ein rasantes Pamphlet, das in seiner Not-giving-a-fuck-Diktion Partei ergreift für die Underdogs, Freaks, Weirdos und Fringe Contenders, für das Partikulare, Extreme und explizit Sexuelle, für die Profanierung als Modus operandi. Er ist aber zugleich literarisch skrupulös durchgearbeitet und gedanklich stringent mit all den theoretischen Referenzen aufgeladen, die der Autor, der viel mehr Poeta doctus ist, als er zugibt, zur Hand hat. Eine atemlose, fordernde, erkenntnisfördernde Lektüre: gerne mehr davon!

PUNK ist die Stimme derer, die normalerweise nicht zu Wort kommen dürfen, aber zu viel zu sagen haben, um schweigen zu können.

Resümee: Mátyás Dunajcsik, QueerPunkPoet, Apologet des zärtlichen Furors und sanfter Schrecken der Literaturhäuser. Béla Bartók hatte recht: Die Musik gehört allen … die fühlen wollen, was Leben heißt.

Mátyás Dunajcsik: PUNK. Erschienen in der Reihe EDITION POETICON #21. Paperback, 49 Seiten, 8,90 €, Verlagshaus Berlin 2024.

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