Lesung im Salon littéraire von Virginia Meza Leifer

Veröffentlicht von Dr. Manfred Luckas am 7. Mai 2019 in Literarische Aktivitäten

Der literarische Salon als privater gesellschaftlicher Treffpunkt für Lesungen, kulturelle Veranstaltungen und Diskussionen erlebt in den letzten Jahren eine Renaissance. In dieser Tradition steht auch der Salon littéraire von Virginia Meza Leifer. Unterstützt von ihrem Mann Klaus Leifer, hat sie in Le Bouveret am Genfer See, unweit von Montreux, ein Refugium für Buchbegeisterte geschaffen. Das leibliche Wohl kommt dabei, getreu dem Motto Mange-Mots, ebenfalls nicht zu kurz.

So war es auch am Freitag, dem 26. April 2019, an dem ich das große Vergnügen hatte, vor Ort zu meinem Lieblingsthema Sport und Literatur vorzutragen. Der Titel der Lesung lautete »Die Befreiung des Körpers«, den Essay in französischer Sprache zu halten, war eine sportliche Herausforderung, der ich dank der Hilfe aller Anwesenden halbwegs zu genügen vermochte.

Dass Sportler die heimlichen Geschwister der Schriftsteller sind, kam an diesem schönen, gelungenen Abend ebenso zur Sprache wie die Sportbegeisterung in der Weimarer Republik. In dieser Zeit wurde der Sport zum Massenphänomen, zur »Weltreligion des 20. Jahrhunderts«, sodass Siegfried Kracauer fragte: »Was haben die Menschen früher gemacht, ehe es einen Sport gab? Seit sie sporten, möchten sie erfahren warum.« Ein freier Geist in einem befreiten Körper, das war die Utopie von so berühmten Autoren der Zeit wie Bertolt Brecht oder Robert Musil, der sich selbst als »muskulös, trainiert, aggressiv« beschrieb.

Die größte literarische Bedeutung hatte und hat das Boxen. Über die Faszination des Faustkampfes für Schriftsteller und über den vitalsten Mythos des Boxens, die Metapher vom Lebenskampf, gab es viel zu erzählen.

Zum Abschluss kam ich auf die wachsende Bedeutung von Autorinnen, die sich mit dem Boxen auseinandersetzen, zu sprechen. Neben Joyce Carol Oates – »Warum sind Sie Boxer?« fragte sie den irischen Federgewichts-Champion Barry McGuigan einmal; er antwortete: »Weil ich kein Dichter bin. Ich kann keine Geschichten erzählen…« – hat mich in letzter Zeit vor allem Stephanie Bart mit ihrem Roman Deutscher Meister begeistert. Er erzählt die Lebens- und Leidensgeschichte des deutschen Sinto-Boxers Rukelie Trollmann, der 1944 im Konzentrationslager ermordet wurde.

Das Konzept dieses literarischen Salons ist dynamisch, es geht nicht darum, zu monologisieren. Ganz im Gegenteil halten die Literaturfreundinnen und -freunde immer mit interessanten Texten dagegen, die sie selbst auswählen und vorlesen. So entstand auch an diesem Abend ein produktiver Dialog, den ich als sehr bereichernd wahrnahm. Dass Daniel Kehlmanns Vermessung der Welt durchaus als Zweikampf Friedrich Gauß versus Alexander von Humboldt gelesen werden kann, ging mir dabei ebenso auf wie die Bedeutung der russischen Literatur für dieses Thema. Vladimir Nabokov mit seiner Schachnovelle Die Luzhin Defensive und die konzise Qualität der Erzählung Die sieben Gehenkten von Leonid Andrejew beeindruckten die Runde jedenfalls nachdrücklich. Einen humoristischen Kontrapunkt setzten die Memoiren eines mittelmäßigen Schülers von Alexander Spoerl.

Großartig fand ich den von der Autorin Christa Prameshuber vorgestellten Roman Das Register ihres österreichischen Landsmanns Norbert Gstrein. Dieses autobiografisch gefärbte Psychogramm einer desolaten Familie, das der Bruder des erfolgreichen Skirennläufers Bernhard Gstrein vor dem Leser ausbreitet, liegt mittlerweile auf meinem Schreibtisch. Merci beaucoup Salon littéraire et bonne chance!

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