Von Humbürgern und anderen Variationen der Gattung Mensch
»Für einen Rumänen, der lesen kann, ist es das Schwerste, nicht zu schreiben.«
Dieser Aphorismus, einer der letzten Gedanken in Humbug und Variationen, bringt Wesen und Haltung von Ion Luca Caragiale wunderbar auf den Punkt. Da ist vordergründig der Humor, jederzeit pointiert und treffsicher, aber darüber hinaus noch so viel mehr. Der Klassiker der rumänischen Literatur wird gerne eindimensional vereinnahmt – zum Beispiel als bedeutendster Dramatiker seines Landes – sehr gerne unterschätzt und manche kennen ihn gar nicht. Dies zu ändern, hat sich der Berliner Guggolz Verlag oder besser, sein Gründer und Inhaber, Sebastian Guggolz, auf die Fahnen geschrieben. Seit Jahren entreißt der engagierte Verleger literarische Schätze aus Weltsprachen, die wir nicht als solche wahrnehmen, dem Vergessen.
Davon profitiert im vorliegenden Fall besonders Caragiale, den in seiner Heimat jedes Kind kennt und sei es als Abbildung auf dem 100-Lei-Schein: Der Erfolg des rumänischen Humbugs. In Deutschland ist das anders, da kennt man als Homme oder Dame de lettres allenfalls Mircea Eliade, eher noch Eugène Ionesco. Ionesco, der Strippenzieher des Absurden, 1909 geboren, also drei Jahre vor Caragiales Tod im Berliner Exil, sieht in ihm seinen geistigen Ziehvater und postuliert: »Komik entsteht, wenn man Tragödien anschaut und dabei ein Auge zudrückt.« Diese heikle Balance beherrscht Caragiale perfekt. So macht er die schreckliche, schwer erträgliche Geschichte des Leiba Zibel, »ein Saujud, ein Mensch, ein Prototyp seiner ewig für ihre gesellschaftlichen Mängel verfolgten Rasse«, zu einem differenzierten Zeugnis des Antisemitismus seiner Zeit und seiner Landsleute, dieser »Gesellschaft tapferer und zur Feigheit unfähiger Löwen«, stets »energisch, wagemutig, unbeeindruckt und beherzt«: Osternacht. Novelle.
Ja, die Ironie ist ein scharfes Schwert, das Ion Luca der Tapfere trefflich zu führen weiß, vor allem gegen die Kleinbürger alias Humbürger, die Wichtigtuer und Besserwisser, die sich in ihrer Borniertheit und in ihrem Nationalismus suhlen. Heute noch? Die Übersetzerin des angeblich Unübersetzbaren, Eva Ruth Wemme, zitiert in ihrem Nachwort einen ehemaligen Traktoristen, der voller Stolz proklamiert: »Caragiale ist der rumänischste Schriftsteller Rumäniens.«
Überhaupt das Nachwort: Davon gibt es im Hause Guggolz immer zwei – hier noch ein weiteres lesenswertes der Autorin Dana Grigorcea – und zwar kultiviert zum besseren Verständnis vor allem der Arbeit der Übersetzer:innen. So gelingt es Eva Ruth Wemme glänzend, den feuilletonistischen Miniaturen Caragiales mit ihren scharfen Beobachtungen der feinen Unterschiede auch im Deutschen Vielschichtigkeit und Lebendigkeit einzuhauchen und sie in die heutige Zeit zu bringen. Caragiale hätte es sicher gefallen, dass seine Momente şi schiţe nun Humbug und Variationen heißen und dass darin der Humbürger als Wiedergänger des Wutbürgers sein Unwesen treibt, »ein entschiedener Patriot, Exklusiv-Nationalist, Rumäne bis ins Knochenmark! Die ganze Welt soll das wissen!« Das ist geistreich und im besten Sinne unterhaltend zu lesen, auch der pikareske, kunstvoll verdrehte Duktus des bösartigen Humoristen Caragiale darf sich auf den gut 400 Seiten ungehemmt austoben: Der verdrehte Mensch Canuschke.
Die bibliophile Gestaltung des Buches, das man gerne in die Hand nimmt, weiß ebenfalls zu überzeugen, gut gelungen ist das Umschlagmotiv mit der kreativen, dezent ironischen, Spielart der rumänischen Trikolore.
Meine Empfehlung, Humbug und Variationen zu lesen, schließt die Ermutigung ein, den Schriftsteller im Ganzen zu entdecken, die starke Übersetzerin Eva Ruth Wemme dazu und den Guggolz Verlag sowieso. Am Ende soll eine Aussage Caragiales stehen, die in den rumänischen Sprachgebrauch eingegangen ist und von Dana Grigorcea als Manifestation eines Menschen verstanden wird, der seinen Wahrnehmungen nicht mehr traut:
»Ich sehe enorm und denke monströs!« Grand Hotel Victoria Română
Ion Luca Caragiale: Humbug und Variationen. Aus dem Rumänischen von Eva Ruth
Wemme. Guggolz Verlag, Berlin 2018 (431 Seiten, gebundene Ausgabe 24,00 €).
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