Modern Talking oder Lasst uns im Gespräch bleiben
Thomas Bernhard lässt im Heldenplatz seinen Protagonisten poltern, in Graz sei nur der Stumpfsinn zuhause. Ob dem so ist, vermag ich nicht zu beurteilen, aber die Aussage, dass im niedersächsischen Springe der Scharfsinn zuhause ist, traue ich mir zu, sprechen die vielen geistreichen Veröffentlichungen, mit denen der dortige Verlag zu Klampen zum Nachdenken anregt, doch Bände. Nun ist in der von Herausgeberin und Lektorin Anne Hamilton betreuten Reihe zu Klampen Essay wieder eine Publikation erschienen, die in puncto Ambition und Erkenntnisfreude nahtlos an ihre Vorgänger anknüpft. Der Kölner Romanist und Autor Kersten Knipp, der in vielen Sujets und Sprachwelten – darunter auch dem Arabischen – zuhause ist, nimmt uns auf 190 Seiten mit auf eine vielstimmige Reise durch die schönen, wilden und manchmal auch gefährlichen Untiefen des kommunikativen Mit- und Gegeneinanders. Und das tut er in seinem Essay Im Gespräch – Wie wir einander begegnen mit Schliff, Verve und in einem lektüregesättigten Duktus, der, bei allem Anspruch, für eine ungetrübte Lesefreude sorgt. So hat mich ein Satz wie »Am Anfang war das Wort, ist an prominenter Stelle zu lesen« nicht nur sofort für den Text eingenommen, sondern auch spontan zum Lachen gebracht. Hier wird die subtile Kunst des Prodesse et Delectare mit leichter Hand pointiert und eröffnet neue Perspektiven auf ein Thema, das uns alle angeht, denn ohne miteinander zu reden, wären wir nur Maschinen.
Wenn wir sprechen, tauschen wir nicht nur Worte aus. Wir stellen uns dem anderen, lassen uns durch ihn bestätigen, aber auch herausfordern. Jedes Gespräch ist darum eine Begegnung, in der der Mensch aufs Ganze gefordert ist.
Im Gespräch ist nichts trivial, bei vollem Einsatz wird stets viel verhandelt: Hierarchien, Macht- und Geschlechterverhältnisse, soziale Zugehörigkeiten, Herkunft und Bildung, Nähe und Distanz, Respekt, Wertschätzung, Empathie und immer wieder auch die Lust am geistvollen Disput, am sprachspielerischen Sparring auf Augenhöhe – Wirkungstreffer und Blessuren inklusive. Das tut manchmal weh, aber wer nichts wagt und wer nichts sagt, der nicht gewinnt. Und manchmal sind es nur Kleinigkeiten wie in dem wunderschönen Gedicht von Mascha Kaléko:
Du hast mir nur ein kleines Wort gesagt, / Und Worte kann man leider nicht radieren / Nun geht das kleine Wort mit mir spazieren / Und nagt …
Kersten Knipp schöpft in seinen Ausführungen aus einem respektablen Fundus von Referenzen, vor denen man jedoch nicht in Duldungsstarre verharren, sondern zum Weiterlesen motiviert werden sollte: Kafka, Kant, Victor Klemperer, Novalis, Rousseau, Tucholsky, James Baldwin, aber auch Message in a Bottle, dazu Simmels Soziologie der Sinne und natürlich Wittgenstein, der zu den Grenzen der Sprache, des Gesprächs und der Welt ja so einiges zu sagen hat. Mithin also ein Rundumschlag mit hoher Trefferquote und, wie im Kapitel 4, Love is in the Air, ganz im Sinne von Roland Barthes auch noch ein paar neue Fragmente einer Sprache der Liebe.
Das Gespräch ist eine kulturelle Technik, die uns im besten Fall bis in den Himmel hebt.
Was für ein erhebender Satz, völlig losgelöst von der Erdenschwere des Banalen und damit ein stimmiger Tribut an die Erfindung der Eleganz und die Poetisierung der Welt.
Eingedenk der Tatsache, dass wir als Menschen mit Herz und Hirn in den luftigen Sphären des Intellekts aber auch einen Körper haben, zitiert Knipp den Philosophen Martin Seel mit der Sentenz »Unsere Körper sprechen, ob wir es wollen oder nicht.« Körpersprache also, Sinnlichkeit, und Hilde Domin und Rose Ausländer, zwei Gigantinnen der innigen lyrischen Zwiesprache, stimmen ihm auf den Seiten 79/80 wissend zu. Resümee: Ein gutes Gespräch ist ein Gesamtkunstwerk, sich dem oder der anderen mitzuteilen, den egozentrischen Anspruch auf Alleinvertretung zu teilen, ist mehr als nur die reine Lust am Text.
Nach so viel Deep Talk entlässt Knipp seine Leserinnen und Leser am Ende des Buches in das wohltemperierte Ermüdungsbecken des Small Talk, biografisch gut unterfüttert und in einer gelungenen Zusammenschau des Begrifflichen mit dem Persönlichen. Dem selbstgenügsamen Small Talk mit seiner Fähigkeit, unangestrengt einen temporären Konsens, zum Beispiel bei Spannung, Sport und Spiel, herzustellen, gesteht er dabei eine eigene Würde zu. In solchen Gesprächen begegnet man sich leicht, die Langhantel im Fitnessstudio ist ja schon schwer genug.
Resümee: Ein intelligentes, eloquentes und inspirierendes Plädoyer dafür, sich zu begegnen und im Gespräch zu bleiben.
Kersten Knipp: Im Gespräch – Wie wir einander begegnen. 190 Seiten, Hardcover, 18,00 €. zu Klampen Verlag, Springe 2024.
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