Blogeinträge in »Rezensionen«

Steine, Straßen, Städte oder Das Exil ist wie Beton

Veröffentlicht Mai 15 2025

Die Akzente gehören zu den ältesten und profiliertesten Literaturzeitschriften hierzulande. 1953 von Walter Höllerer und Hans Bender gegründet, seit 1981 von Michael Krüger und seit 2015 von Jo Lendle herausgegeben, setzt seit Jahresbeginn der Dittrich Verlag – 2024 mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet – neue Akzente im Literaturbetrieb. So wurden von Herausgeberin Marietta Thien Erscheinungsbild und Anmutung der dezent in die Jahre gekommenen Publikation beherzt entstaubt, wirken nun leichtfüßig, zugänglich, gegenwärtig. Zudem geht das erste Heft des Jahres 2025 auch thematisch und inhaltlich gleich in medias res und setzt vernehmlich Maßstäbe: EXIL – Steine, Straßen, Städte, ein ambitionierter, beziehungsreicher Titel, […]

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WHO is WITCH oder Die Reise nach Babylon

Veröffentlicht April 30 2025

Ein fragmentarisches Ich tastet nach Zärtlichkeit im Brüchigen, sucht Verbindung zu Freund:innen, zu Orten, Idolen, anderen Spezies – und zu sich selbst. Prekäre Formen des Zusammenseins rücken ins Zentrum, die erschaffen und gleichzeitig in Frage gestellt werden. Gedichte, die Netze verteilter Verletzlichkeit bilden und an der Schwelle zu einem neuen Sprechen stehen. Besser als auf dem Buchrücken des beeindruckenden Gedichtbands reise nach BABYlon von Jennifer de Negri kann man es nicht sagen und deshalb lasse ich es an dieser Stelle auch. Was gesagt werden muss, ist, dass es dem Kölner Verleger Adrian Kasnitz wieder einmal gelungen ist, in seiner parasitenpresse […]

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Versteh einer die Deutschen oder Nietzsche ist überall

Veröffentlicht April 10 2025

Der Sujet Verlag in Bremen ist, dank Gründer Madjid Mohit, seit nunmehr fast 30 Jahren eine Institution in der deutschen Literaturlandschaft. Der Verleger, der als politischer Flüchtling aus dem Iran kam, wurde für sein Engagement 2015 mit dem renommierten Hermann-Kesten-Preis des PEN und 2024 mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet. Der Freiheit des Wortes verpflichtet, gibt er immer wieder Autorinnen und Autoren, die sonst nicht gehört würden, eine Stimme. Der Sujet Verlag zeichnet sich in seinem Programm vor allem durch das aus, was Mohit Luftwurzelliteratur nennt – in Abgrenzung zu dem seines Erachtens eher imitierenden und negativ konnotierten Begriff der Exilliteratur. […]

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Gesichtsverlusterkennung oder Die Poesie der Neusser Landstraße

Veröffentlicht März 5 2025

Volkmar Mühleis hier noch einmal vorzustellen hieße Eulen nach Athen tragen, ist der ebenso vielschichtige wie vielgesichtige Lyriker und Literat doch mittlerweile ein gern gesehener Gast in unseren Rezensionsgefilden. Nach den beiden Gedichtbänden Fête de la Musique und Das Recht des Schwächeren sowie der Novelle Wasserzeichen ist mit Gesichtsverlusterkennung nun sein viertes Buch im ATHENA-Verlag erschienen, der 1996 von Ralf Duscha in Oberhausen gegründet wurde. Im Zentrum des bemerkenswerten belletristischen Verlagsprogramms steht seit jeher die Veröffentlichung ambitionierter Lyrik in der Reihe edition exemplum. Der Gesichtsverlust ist ein ebenso problematischer wie ubiquitärer Seinszustand, ihn als solchen zu erkennen und literarisch auszugestalten, […]

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Vermessene Nähe oder Der Abstand zur eigenen Hand

Veröffentlicht Dezember 19 2024

Kafka und Kant, Derrida und Lyotard – und die Weimarer Beiträge. Ohne die internen Rites de passage des Passagen Verlags en détail zu kennen, scheint er doch recht erfolgreich in Übergängen zuhause zu sein. Und so ist in Wien, zwischen Literatur, Essay, Philosophie und den Schlüsseltexten der Postmoderne, auch noch genug Platz für gute Poesie. Gute Poesie, wie sie Volkmar Mühleis wahlweise singt, inszeniert oder schreibt, im vorliegenden Fall in der Tat zu Papier bringt, um hier einmal furchtlos dem Analogen das Wort zu reden. Mühleis, geboren 1972 in Berchtesgaden, lebt in Brüssel und lehrt an der LUCA School of […]

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PUNK for live oder Die Musik gehört allen

Veröffentlicht Oktober 9 2024

In diesem kleinen Buch geht es darum, was passiert, wenn die Sprache so stark mit einem Baseballschläger verprügelt wird, dass sie sich in Poesie verwandelt. Mátyás Dunajcsik, geboren 1983 zwischen Buda und Pest, macht keine Gefangenen, wenn er schreibt. Sprachlich entfesselt räsoniert er über die Biotope der Gegenkultur und lotet dabei die lustvolle Freude am kontrollierten Machtgefälle im BDSM-Klub ebenso aus wie die immersive Logik im Moshpit eines Punkkonzerts. Dahin zu gehen, wo es weh tut, kann ein Ausdruck größter Zuneigung sein. Die Zärtlichkeit der Wölfe, die schon Ulli Lommel so filmisch furios anheulte, findet in diesem Polyglot Punk Poet, […]

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Modern Talking oder Lasst uns im Gespräch bleiben

Veröffentlicht Juli 25 2024

Thomas Bernhard lässt im Heldenplatz seinen Protagonisten poltern, in Graz sei nur der Stumpfsinn zuhause. Ob dem so ist, vermag ich nicht zu beurteilen, aber die Aussage, dass im niedersächsischen Springe der Scharfsinn zuhause ist, traue ich mir zu, sprechen die vielen geistreichen Veröffentlichungen, mit denen der dortige Verlag zu Klampen zum Nachdenken anregt, doch Bände. Nun ist in der von Herausgeberin und Lektorin Anne Hamilton betreuten Reihe zu Klampen Essay wieder eine Publikation erschienen, die in puncto Ambition und Erkenntnisfreude nahtlos an ihre Vorgänger anknüpft. Der Kölner Romanist und Autor Kersten Knipp, der in vielen Sujets und Sprachwelten – […]

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Ferdinand oder Die Trüffel in der Jules-Verne-Straße

Veröffentlicht Juni 15 2024

Silke Weizel, 1971 in Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz, geboren, legt nach ihrem gelungenen lyrischen Debut zwischen menschen und dingen nun mit Mareike und die Himbeertrüffel einen ersten Roman nach. Eine erste, eher unliterarische Assoziation, die mich beim Lesen des Titels rücklings überfiel, war die an »Himbeereis zum Frühstück«, einen Song aus den späten 1970er-Jahren und damit auch ein Anklang an frühe Jugend und Fernsehabende mit den Eltern. Damals sang sich das Schlagerduo Hoffmann & Hoffmann träumend durch den Sommer und ja, besteht die große Leistung der Literatur nicht darin, Zusammenhänge zu erspüren, die man vorher so nicht wahrgenommen hat? Der Sommer, […]

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Als Verleger geeignet oder Einmal von Wien in die Welt und zurück

Veröffentlicht Juni 11 2024

»Zsolnay ist ein mitteleuropäischer Verlag mit Sitz in Wien.« Zu diesem harmlos klingenden Aussagesatz lässt sich Herbert Ohrlinger, aktueller Verlagsleiter von Paul Zsolnay, in einem Interview, das im vorliegenden Buch zu finden ist, dann doch hinreißen – um nur wenige Sätze später einen gesellschaftlichen und kulturellen Resonanzraum zu betreten, der das ewige junge Traditionshaus selbstbewusst verortet: Wir sind in der Lage zu zeigen, glaube ich, dieses Wienerische mit dem Europäischen, mit dem Welthaltigen zu kombinieren und für ein breites Publikum im gesamten deutschsprachigen Raum interessant zu machen. Nachzulesen ist dies alles in dem überaus gelungenen, zum 100. Jubiläum erschienenen Werk […]

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Gefühlte Kälte oder Stete Schrecken des Eises und der Finsternis

Veröffentlicht Mai 24 2024

Als Szczepan Twardoch vor zwölf Jahren mit Morphin in den literarischen Ring stieg, war das ein Ereignis, war da ein vielschichtiges Buch voller Drama und erzählerischer Dynamik. Hier hatte sich eine neue, vitale und erfrischend furchtlose Stimme schreibend Gehör verschafft. Von Olaf Kühl für Rowohlt zupackend ins Deutsche übersetzt, fand sich dann hierzulande schnell eine begeisterte Leser:innenschaft. Nun erscheinen aus der Feder des polnischen Schlesiers – gut getaktet wie ein Metronom – alle zwei Jahr wuchtige Titel: Drach, Der Boxer (sehr stark!), Das Schwarze Königreich, Demut und aktuell Kälte. Seit einiger Zeit verursacht die dräuende, dauerdüstere und ausufernd gewalttätige Diktion […]

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